Wenn der Golf plötzlich zum Gokart wird

Ein kurzer Tritt aufs Bremspedal, und das Auto geht spürbar „in die Eisen“. Auch die Gasannahme ist sehr direkt. Das Gaspedal muss nur sanft gedrückt werden, schon geht es voran. Beide Pedale haben so gut wie keinen Leerweg und geben nur wenige Millimeter nach. Gas und Bremse werden nur mit der Kraft dosiert, die der Fuß ausübt. Nach ein paar Minuten hat man sich nicht nur daran gewöhnt, man möchte es nicht mehr missen. So sportlich direkt haben Fahr- und Bremspedale noch bei keinem Auto reagiert wie bei diesem Testfahrzeug von Bosch, das die Vorteile von „Brake-by-Wire“ zeigt.

Schon 2026 soll diese Technik in Serie gehen. Bei welcher Marke, das sagt Bosch noch nicht. Wohl aber, dass es reges Interesse an der Funktion auf Seiten der Autohersteller gibt. Denn sie hat viele Vorteile: Die mechanische Verbindung zwischen Pedal und Bremszylinder, der den Druck über Leitungen an die Radbremsen weitergibt, entfällt. Ein Sensor unter dem Pedal ist per Kabel (englisch „Wire“) mit dem Bremssystem verbunden. „Damit kann das Bremspedal besser platziert werden“, sagt eine Bosch-Ingenieurin. Es muss nicht unbedingt an Spritzwand zum Motor sitzen, wo die Bremstechnik im Motorraum verbaut ist.

Weiterer Vorteil: Der lange, mit Federn gehaltene Hebel am Bremspedal entfällt. Aus Kunststoff oder Metall erzeugen sie beim Zurückschnellen ein unschönes Klappergeräusch. Bei einem Unfall verursacht die herkömmliche Pedalerie 80 Prozent der Fußverletzungen und kann den Fahrer sogar einklemmen. Rettungskräfte wissen ein Lied davon zu singen.

Nicht zuletzt kann die Empfindlichkeit der Pedale auf den jeweiligen Fahrstil eingestellt werden: Wer es sportlich mag, dem reicht für eine Vollbremsung schon ein kurzer Tritt aufs Pedal. Wer es komfortabel schätzt, kann ein eher sanftes Ansprechen von Gas und Bremse wählen. Beim Stop-and-Go-Verkehr, zum Beispiel im Stau, hält das Auto auf den letzten Zentimetern dennoch immer sehr sanft. Den Ruck vor dem Stop gibt es nicht mehr.

Nicht nur Gas und Bremse, auch das Lenkrad steht vor der Revolution: Neben „Brake-by-Wire“ hat Bosch ein „Steer-by-Wire“ entwickelt. Das Lenkrad ist nur noch per Kabel mit der Lenkung verbunden. Ein Sensor überträgt die Drehung an einen Elektromotor, der der Zahnstangenlenkung. Der sorgt dann für den gewählten Lenkeinschlag. Erstaunlicherweise fühlt sich die neue Lenkung, testweise in einem Golf verbaut, nicht so synthetisch oder gefühllos an wie das Steuer einer PlayStation.

Denn ein Motor am Lenkrad sorgt für die nötige Rückmeldung der Räder. Überfährt man eine Fahrbahnschwelle, gibt es einen kleinen Schlag im Lenkrad, so als sei es direkt mit den Rädern verbunden. Verlieren die Vorderräder die Bodenhaftung, zum Beispiel auf Eis, spürt man das auch im Lenkrad. Es bietet plötzlich keinen Widerstand mehr. „Wir wollen damit die Physik abbilden“, sagt ein Bosch-Ingenieur. „Die Lenkung soll sich so realistisch wie möglich anfühlen.“

Aber „Steer-by-Wire“ kann noch mehr, denn nicht nur die Lenkkraft ist beliebig dosierbar, auch die Übersetzung der Lenkung lässt sich erstmals frei steuern. Auf Kommando braucht es nur noch halb so viele Umdrehungen für einen vollen Lenkeinschlag. Dann fährt sich das Testfahrzeug wie ein Gokart, wedelt flott durch eine Pylonen-Gasse und reagiert fast schon nervös auf die Lenkbewegungen. „Auf der Autobahn stellen wir die Lenkung dann indirekter ein, damit die Fahrt ruhiger wird“, sagt der Bosch-Entwickler. Sportlich ambitionierte Fahrer werden die direktere Lenkung lieben. 2027 soll das „Steer-by-Wire“ in einem ersten Serienfahrzeug auf den Markt kommen.

Nicht nur Bosch entwickelt solche Lenk- und Bremssystem, die gesamte Autoindustrie arbeitet arbeitet daran. Denn vor etwa einem Jahr hat der Gesetzgeber das drahtgesteuerte Lenken und Bremsen gesetzlich erlaubt, und das in so gut wie allen Automärkten. Als erster Hersteller hat Tesla ein solches System in seinem Cybertruck eingebaut. Allerdings nicht das von Bosch, sondern ein selbst entwickeltes.

Bosch will vor dem Serieneinsatz sicher gehen, dass sein „by-Wire“-Technologie mindestens so sicher ist wie das mechanische Lenken und Bremsen. Dazu werden jeweils redundante Systemen eingebaut. Das heißt, Stellmotoren und Sensoren gibt es jeweils zweimal, falls einer ausfällt. Auch Federung und Antrieb lassen sich künftig über Sensoren steuern. Mit diesem „Vehicle Motion Management“ wird die Bewegung des Fahrzeugs in allen sechs Richtungen kontrolliert, also auch die Federwege.

Diese Systeme zeigen auch: Im Auto der Zukunft spielt vor allem Software eine Rolle. Wie Bremse, Lenkung, Antrieb und Dämpfung ansprechen hängt dann von Computerprogrammen ab, die regelmäßige Updates bekommen. So bleiben die Autos stets auf dem neuesten Stand. „Bosch ist längst auch ein Software-Unternehmen“, sagt Stefan Hartung, Vorsitzender der Bosch-Geschäftsführung. Mehr als 48.000 Mitarbeiter sind bei Bosch weltweit in der Software-Entwicklung beschäftigt – 42.000 davon beschäftigen sich mit Mobilitätsthemen. „Vor uns liegt das Zeitalter des softwaredefinierten Fahrzeugs“, sagt Markus Heyn, der als Geschäftsführer den Unternehmensbereich Mobility leitet. Künftig werden neue Funktionen auch in bereits ausgelieferte Fahrzeuge kommen. Das Smartphone auf Rädern rückt näher. (cen)


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Bilder zum Artikel

Steer-by-Wire-Versuchsfahrzeug.

Steer-by-Wire-Versuchsfahrzeug.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Bosch


Steer-by-Wire-Versuchsfahrzeug.

Steer-by-Wire-Versuchsfahrzeug.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Bosch