Praxistest Mercedes Benz V 300 d: Der fährt nicht Business, sondern First Class

Der Bus ist ein Bus ist ein Bus. Was VW nur mit einer grundlegenden konzeptionellen Änderung des Antriebs in den 1980er Jahren gelang, kommt für die V-Klasse von Mercedes nicht in Frage. Bei ihr sitzt der Motor seit jeher vorn, angetrieben werden die Hinterräder und Traktionsfetischisten bekommen auf Wunsch auch einen permanenten Allradantrieb. So bleiben nur die gestalterische Lösung des feinen Streichelns und der vorsichtigen Perfektionierung der Proportionen, um das Erscheinungsbild der V-Klasse immer wieder zu aktualisieren. Die Form folgt der Funktion, das ist bei Transportern immer so und deshalb sind echte Modellwechsel eher selten. Nun aber haben die Zeichner und Denker im Schwäbischen die V-Klasse einmal mehr aufgehübscht, allerdings sind sie dabei vehementer in die Tiefen von Design und Technik vorgedrungen als früher.

Der 5,14 Meter lange Wagen verwöhnt Fahrer und Passagiere bei Bedarf mit allen nur erdenklichen Komfortangeboten, von denen viele im Spitzenmodell V 300 d 4-Mativ zum Serienstandard zählen. Der Innenraum zitiert mit einem klar gegliederten Cockpitlayout aus den Personenwagen der Marke, alles wirkt edel und elegant, von Nutzfahrzeugcharakter keine Spur. Das war wohl auch eines der vordringlichsten Entwicklungsziele, die V-Klasse soll sich deutlich vom VW Multivan abheben, was ihr leicht gelingt. Ein Vergleich mit anderen Vans wie dem Ford oder den Angeboten von Stellantis bietet sich von vorneherein gar nicht an.

Im Mercedes sollen vor allem gut situierte und anspruchsvolle Menschen auf die Reise gehen. Nicht nur mit Ausstattung, Gestaltung und Verarbeitung wird dieser Anspruch unterstrichen, auch die Preisgestaltung ist sportlich. 55.000 Euro gelten als Basispreis. Das 237 PS starke Spitzenmodell gibt es dann samt Allradantrieb für gut 93.000 Euro, unser gut, aber nicht maximal ausgestattete Testwagen schrammt knapp an der 100.000-Euro-Grenze vorbei. Immerhin gibt es nahezu alle Assistenzsysteme als Serienausstattung, zwei elektrisch öffnende Schiebetüren sind ebenfalls dabei, auch die neunstufige Automatik kostet keinen Cent extra. Und in Sachen Wiederverkauf dürfte der Mercedes unter den Vans ebenfalls allerlei Trümpfe unter der Haube haben.

Der schicke Innenraum gefällt mit sehr angenehmen Platzverhältnissen, was in dieser Klasse eher nicht verwundert. Und alle Bedienungselemente sind da, wo Chauffeur und Mitfahrer sie intuitiv erwarten. Vor allem das Bedienkonzept im Cockpit hat gewonnen, der V-Klasse wurde das aktuell modernste MBUX-Infotainmentsystem spendiert. Das hilft dabei, die pflichtgemäß eingebauten vermeintlichen Helfer wie den Akustikwarner beim Überschreiten des Tempolimits und den rüpelhaft eingreifenden Spurhalteassistenten mit einem Tastendruck und zwei Klicks auf dem zentralen Touchscreen ausschalten. Danke auch für das Stellrädchen, mit dem sich das Audio-Volumen schnell und zielgenau einstellen lässt. Die Menüs sind verständlich und übersichtlich gestaltet, der Bedienungskomfort hat mit der Modellaufrischung deutlich gewonnen.

Unverändert ist dagegen die erstaunliche Variabilität des Innenraums. Im Fond werden vier Sitze geboten, sie lassen sich verschieben, für die kleine Konferenz auch gegen die Fahrtrichtung montieren, so dass die Gesprächspartner vis-à-vis Platz nehmen können, oder sich auch zum Zweck maximaler Beinfreiheit ganz nach hinten verfrachten lassen. Um- oder gar Ausbauten wollen jedoch überlegt sein, denn das komfortable Gestühl bringt immer noch erhebliches Gewicht auf die Waage. Noch schwerer sind die Komfortsitze, die dann den First-Class-Luxus an Bord bringen. Sie können für die zweite Reihe bestellt werden und massieren, heizen oder kühlen auf Wunsch. Das ist genau richtig für very, very important persons, kostet aber die Kleinigkeit von gut 5000 Euro – pro Sitz.

Der Vier-Zylinder-Diesel mit zwei Litern Hubraum ist seit je her ein angenehmer und vor allem überaus durchzugsstarker Begleiter. Er treibt die 2,5 Tonnen schwere V-Klasse mit Nachdruck an und legt weder Anfahrschwächen noch Turboloch an den Tag. Gut, bisweilen brummelt er ein bisserl, hohe Drehzahlen braucht er jedoch kaum, liegt seine satte Drehmomentspitze von 500 Newtonmeter schon bei 1600 U/min an, die neunstufige Automatik verarbeitet das Moment elegant und stilvoll. Die Fahrleistungen sind beeindruckend, wer beherzt aufs Gaspedal tritt, erlebt ein in diesem Fahrzeugsegment bislang kaum beobachtetes Sprintvermögen. In 8,6 Sekunden beschleunigt der 300 d von 0 auf 100 km/h, nur die hinterradgetriebene V-Klasse ist einen Wimpernschlag schneller und erledigt diese Disziplin in 7,9 Sekunden. Auch in der Spitze muss sich der Allradler geschlagen geben, er schafft 210 km/h als Höchstgeschwindigkeit, die 2WD-Version ist zehn km/h schneller.

Zwar ist Geschwindigkeit keine Hexerei, aber Fahrten im Turbo-Tempo sind nicht die Domäne des Vans. Die treiben außerdem den Verbrauch stramm nach oben. Unsere durchweg mit moderaten Geschwindigkeiten absolvierten Fahrten (oft 130, bisweilen 160 km/h, nur selten mehr) ergaben einen durchschnittlichen Konsum von 8,1 Liter, das sind 0,9 Liter mehr als nach WLTP angegeben werden. In den Tank passen 70 Liter, bei haushaltsüblichen Wegstrecken wird der Besuch der Tankstelle eine nicht allzu oft notwendige Übung.

Auf kurvigen Strecken verlangt der Van Aufmerksamkeit. Zwar ist die Lenkung hinreichend genau und liefert auch schöne Rückmeldungen über den Fahrbahnkontakt, erfordert jedoch einen festen Griff, weil sich die Servounterstützung eher zurückhaltend einbringt. Bei den Bremsen würden wir uns einen klarer definierten Druckpunkt wünschen, auch nach besserem Kennenlernen war die Verzögerung beim Ampelstopp nicht immer eine lineare. Großes Lob bekommt dagegen der Federungskomfort. Dank der rund 2200 Euro teuren Luftfederung lassen Fugen und Rinnen im Asphalt die V-Klasse weitgehend unberührt. Auf arg ausgefahrenen Wegen kann die Bodenfreiheit außerdem um 35 Millimeter vergrößert werden, allerdings nur bis Tempo 30. Die Shuttle-Fahrt zur Alm lässt sich so sicherer bewältigen.

Unser Fazit fällt gemischt aus. Unserem Nachbarn, der seinen Caravan mit einem betagten VW Multivan jedes Jahr an die Costa Brava zieht, ist die V-Klasse viel zu teuer. Allerdings dürfte sich so mancher Gespannfahrer über die erlaubten 2000 Kilogramm als Anhängelast freuen. Optional kann sie sogar auf 2500 Kilogramm angehoben werden. In Privatbesitz dürfte dieser Mercedes-Van aber eher selten gehen. Seine Domäne sind die Shuttle-Dienste, die verwöhnte Gäste vom Flughafen ins Fünf-Sterne-Hotel chauffieren oder Unternehmen, die oftmals mehr als zwei umworbene Geschäftspartner befördern müssen. Und wer aufs Geld schauen will oder muss, der wird gewiss auch mit den beiden weniger kräftigen Antriebsalternativen klar kommen, für die bis zu 30.000 Euro weniger zu zahlen sind. (cen)

Daten Mercedes Benz V 300 d 4-Matic:

Länge x Breite x Höhe (m): 5,14 x 1,93 x 1,94
Radstand (m): 2,54
Antrieb: 4-Zyl.-Benziner, 1950 ccm, AWD, Aut.
Leistung: 174 kW / 237 PS bei 4200 U/min
Max. Drehmoment: 500 Nm bei 1600 U/min
Höchstgeschwindigkeit: 210 km/h
Beschleunigung 0 auf 100 km/h: 8,6 Sek.
WLTP-Durchschnittsverbrauch: 7,2 Liter
CO2-Emissionen: 210 g/km
Testverbrauch: 8,1 Liter
Leergewicht / Zuladung: min. 2544 kg / max. 656 kg
Anhängelast: 2000 kg
Kofferraumvolumen: 755–4785 Liter
Preis: 93.542 Euro
Testwagenpreis: 99.074 Euro


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Mercedes-Benz V 300 d 4-Matic.

Mercedes-Benz V 300 d 4-Matic.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Michael Kirchberger


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