Fahrbericht Geely L6: Die nächste Kampfansage aus China

Zu Geely gehört mittlerweile ein bunter Strauß von Marken, darunter so klangvolle und etablierte Namen wie Lotus, Volvo und Smart, aber auch Newcomer wie Zeekr oder Lynk & Co. Unter der eigenen Herstellerbezeichnung verkauft der Konzern den L6. Er ist kein protziger SUV, kein schnittiger Sportler, sondern eine etwas biedere, viertürige Limousine. Ein Vernunftauto, das es aber faustdick unter der Haube hat. Während seine vollelektrischen Konzernkollegen gerade mit einer gewissen Kaufzurückhaltung zu kämpfen haben, dürfte er mit seinem Plug-in-Hybrid-Konzept voll im Trend zu liegen. Dies zeigen zumindest die aktuellen Marktentwicklungen.

Gerade wurde Horse, ein Kooperationsunternehmen zwischen Geely und Renault, gegründet. Zu dem Verbund gehören die ehemaligen Renault-Motoren-Fabriken und Geely-Aurobay-Fabriken in Schweden und China. Michael Fleiss ist CEO des Aurobay Headquaters in Schweden und von zwei Motorenwerken in Schweden und China: „Der Plug-in-Hybrid wird ja als Brückentechnologie angesehen. Ich glaube, das ist keine Brücke, sondern eine ganz lange Straße. Man hat geglaubt, man könnte mit dem BEV-Antriebsstrang alle Probleme lösen. Aber leider sind die Batterien immer noch sehr teuer und der Infrastrukturausbau ist zu langsam. Auf lange Sicht werden die Batterien auch nicht deutlich preiswerter. Der Plug-in-Hybrid hat mit der kleineren Batterie Kostenvorteile, und für weitere Strecken hat man einen kleinen Verbrennungsmotor.“

Der Aurobay-Hybrid im L6 ist auf den ersten Blick kein Hightech-Antrieb. Den Verbrenner gibt ein Vierzylinder-Reihenmotor mit 1,5 Litern Hubraum. Der Benziner leistet 120 PS (88 kW) und wird kombiniert mit einem 107-kW-Elektromotor (145 PS), den eine 19,09 kWh Batterie speist. Alles erfolgt unauffällig, aber die Antriebsteilung zwischen E-Maschine und Verbrenner ist ein sehr intelligentes Zusammenspiel. Der Verbrenner wird in seinen Schwachpunkten tatkräftig von der E-Maschine unterstützt. Ohne Effizienzverluste kann man so auf teure Technik verzichten.

Kombiniert wird der Parallel-Serielle-Hybrid mit einem ganz speziellen Drei-Gang-Getriebe. Man kann den Verbrenner ohne mechanische Verbindung zur Antriebswelle fahren. Wird aus dem Stand beschleunigt, dann ist der erste Gang mechanisch über das Drei-Gang-Getriebe, der zweite Gang ist elektrisch, der dritte wieder mechanisch, der vierte elektrisch, der fünfte mechanisch und der letzte, sechste Gang elektrisch. Der Vorteil: Man spart drei Gänge, also Kosten, und der Kunde merkt davon nichts. Er ist nur beeindruckt vom Vortrieb.

Bis 20 km/h fährt der L6 rein mit der Energie der Batterie. Das Geräusch des E-Antriebs ist dabei allerdings etwas gewöhnungsbedürftig. Darüber darf der Verbrenner dann im normalen Fahrmodus mitspielen. Ob er dabei nur die Batterie lädt oder direkt die Räder antreibt, das entscheidet der Pilot am Gaspedal oder die kluge Elektronik. Über 80 km/h wird alles dem Vortrieb untergeordnet. Und dieses Vorwärtsdrang soll laut technischen Daten erst bei Tempo 235 enden! Alle Achtung.

Natürlich kann der L6 bei der Beschleunigung nicht mit seinen Hypercar-Kollegen aus dem Konzern mithalten, seine Stunde schlägt dafür bei der Reichweite. Der L6 schafft im reinen Elektro-Modus 125 Kilometer. Sind beide Antriebsquellen im Einsatz, dann wird die Limousine erst nach 1370 Kilometern an die Tankstelle gerufen, wo der 60 Liter-Tank mit Superbenzin aufgefüllt werden möchte.

Die L6-Limousine ist kein Verzichtauto, hat sie doch einige interessante Features zu bieten. Im Innenraum sticht einem sofort der hochaufragende Bildschirm über der Mittelkonsole ins Auge. Hier kann man sich das Zusammenspiel zwischen Verbrenner und E-Maschine während der Fahrt farbig illustrieren lassen.

Einige Spielereien hingegen sind eher gewöhnungsbedürftig: Wer den L6 beispielsweise verlassen möchte, der wird vergeblich nach einem Türgriff suchen. Dafür gibt es einen Druckknopf in der Türverkleidung. Und wer die Tür zuziehen möchte, der muss hinter die Armlehne greifen. Dafür ist das Öffnen der Türen von außen einfach. Wenn man sich mit dem Schlüssel nähert oder das Auto entriegelt, dann fahren die Türgriffe automatisch aus.

Der ganz große Aha-Effekt kommt zum Schluss. Der L6 hat nicht allein ein interessantes Antriebskonzept, das Horse künftig nicht nur an die Geely- und Renault-Marken, sondern auch an andere Hersteller liefern möchte. Der Plug-in-Hybrid wird in China zu einem ausgesprochen interessanten Preis bereits verkauft: Die viertürige Reiselimousine kostet in China etwas mehr als 100.000 RMB, das sind umgerechnet rund 13 000 Euro! Selbst wenn sich der Preis nach dem Transport nach Europa und der Anpassung an hiesige Zulassungsbedingungen verdoppelt, wie bei anderen E-Autos aus China, wäre das eine Ansage. Und Michael Fleiss versichert: „Es gibt Überlegungen, dass dieser Antrieb auch nach Europa kommt. Da müssen sich die europäischen Automobilhersteller warm anziehen.“ (aum)

Daten Geely L6

Länge x Breite x Höhe (m): 4,78 x 1,88 x 1,49
Radstand (m): 2,75
Antrieb: R4, 1499 ccm, E-Motor, 3-Gang-Getriebe
Systemleistung: 390 PS (287 kW)
Max. Drehmoment: 535 338 Nm
Höchstgeschwindigkeit: 235 km/h
Leergewicht / Zuladung: 1750 kg / 400 kg


Wenn Sie der Artikel für Ihr Medium interessiert, registrieren Sie sich bitte hier!
Dann können Sie den Artikel oder die Bilder und Videos herunterladen.


Bilder zum Artikel

Geely L6.

Geely L6.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Geely


Geely L6.

Geely L6.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Geely


Geely L6.

Geely L6.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Geely


Autor Bernd Ostmann am Steuer des Geely L6.

Autor Bernd Ostmann am Steuer des Geely L6.

Foto: Autoren-Union Mobilität/Geely